..das digitale Zeitalter

von T$, veröffentlicht in TapMag 3

Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie aktuell und vorausschauend die Reporter von TV und Zeitung doch sind:
Egal welche Zeitung man auch in die Hand nimmt, egal ob BILD oder FAZ, oder welchen Sender man auch anschaut; täglich bekommt man eingetrichtert, daß die digitale Revolution vor der Tür steht. Das hiesige regionale Käseblatt füllt locker ein bis zwei Seiten mit Artikeln, die irgendwo in Relation zu Computern stehen.

Es ist schon absurd: Noch vor zehn Jahren wurde die Digitalisierung meist nur unter einem Aspekt gesehen. Nämlich als arbeitsplatzvernichtendes Damoklesschwert. Und während die Medien munter die Litaneien von wegautomatisierten Stellen herunterleierten blieben Arbeitsplätze der deutsche Exportartikel Nr. 1.

Besonders paradox war zudem, daß die sich am lautesten darüber aufregten, die sowieso nie einen der geringbezahlten Jobs angenommen hätten, sondern statt dessen lieber im Büro hockten. Dabei hat sich in Büros am wenigsten geändert, da der PC dort meist nur als moderne Schreibmaschine benutzt wird.
Daß man sich auch Zuhause mit einem Computer beschäftigen könnte, galt als pathogen: Der Betroffene wurde als kontaktscheuer, psychisch gestörter Sonderling dargestellt, der sich nicht in die Gesellschaft einordnen kann. Nur bei vor dem Nintendo oder dem C64, was in den meisten Augen dasselbe war, spielenden Kindern, sah man noch darüber hinweg, wohl mit der Hoffnung, daß dies nur vorrübergehend ist.

Die sich entwickelnden Mailboxnetze hat die breite Masse auch nie richtig bemerkt.
Erst mit einem anderen Netz, dem Internet, oder wie die Journalisten es darstellen: dem WWW, wurde dies anders. Der verlinkte Hypertext wurde als die Innovation der 90er dargestellt. Kapiert haben sie bis heute rein gar nichts. Weder, daß die drei Buchstaben mit der meistinflationärsten derzeitigen Verwendung technisch bedeutungslos sind, und nur der letzte, optionale Teil, eines symbolischen Namens darstellt, noch daß schon meine Großeltern ohne Probleme Hypertext-Dokumente benutzten.
Knaurs Lexikon in 10 Bänden A-Z hieß das damals.
Da die Leser/Zuschauer allerdings nicht sonderlich an den Journalistenvisionen interessiert waren, mußte mal wieder der Revolver + Tittenfaktor ausgegraben werden. Sodann wurden die Newsdienste entdeckt. Dem Leser wurde weißgemacht, daß das Internet ein Tummelplatz von perversen Kinderpornospannern, von hochgefährlichen rechten Gruppen und bösen Gangstern ist, die einem das Konto leeren. Daß in fast jedem Restaurant oder Geschäft, welches Kreditkarten akzeptiert, die Nummern leichter zugänglich sind habe ich jedoch noch nirgendswo gelesen (wenn ich wollte, hätte ich auf diese Weise schon etliche Gratiseinkäufe erledigen können).

Welches Soddom und Gomorrha dieses unsere Kultur gefährdende Internet darstellt, wurde der Masse am deutlichsten, als damit eine blasende Praktikantin und ihr Präsident in aller Deutlichkeit präsentiert wurden. Der normale Mediennutzer, unter dem das vorherige meistbenutzte Verbreitungsmittel pornographischen Materials, der Videorecorder, schon seine maximale Verbreitung erreichte, hoffte nun dringendst, daß diese Entwicklung hoffentlich verboten würde. Dazu paßte es auch gut, daß bekannte Prominente ihre Karriere dadurch verlängern wollten, indem sie stolz bekannten, von Computern absolut keine Ahnung zu haben. Mich hätte eher interessiert, von was sie überhaupt Ahnung haben.

In der Zwischenzeit wurden sowohl die Rechner als auch ein Onlinezugang immer günstiger. Folglich mußten die Medien das Thema wechseln, um nicht ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Diese Kehrtwende, Computertechnologie als das Heil unserer Gesellschaft für die Zukunft darzustellen, anstatt zu dämonisieren, erfordert immense gehirnwaschende Aktivitäten.

Für echte Profis der Meinungsbildung und Infomationsillusionen gibt es nur ein Thema, mit dem dies gelingt. Es sind, wie Jahre zuvor, wieder Arbeitsplätze. Damit unsere Wirtschaft nicht völlig auf den Stand eines Entwicklungslandes zurückfällt, benötigen wir erstklassige Computerspezialisten, selbstverständlich mit Diplomhochschulabschluß als Mindestvorraussetzung. Weil es diese hier kaum gibt, zum Teil weil sie wegen der obigen Meinungskoordinierung und gestrichener Fördermittel andere Berufe vorzogen oder weil sie mit 40 in den Ruhestand gegangen worden sind, muß man sie eben aus dem Ausland (= Entwicklungsland?!?) holen. Eigentlich ist das nur konsequent: Nachdem zuerst die gering qualifizierten Arbeiten exportiert wurden, vergibt man auch die hochqualifizierten. Endlich wird mal in der Politik auch etwas zu Ende gebracht! Und die Chancen stehen gut: So wie letzten Monat in der Zeitung stand, wurde der einmilliardste potentielle deutsche IT-Profi geboren.

Damit allerdings auch die hiesigen Einwohner davon verschont bleiben, als Wohlstandsmüll zu enden, muß vom auf den teletubbiebeklickenden Krabbelkindern bis hin zum alzheimerdementen Pflegeheimbewohner, der sein AOL-Passwort vergessen hat, jeder zumindest die Windows-Grundkenntnisse beherrschen.

Interessant wie schnell dadurch aus verpickelten, asozialen Psychoneurotikern die Elite der Nation, unsere einzige Hoffnung, wurde.

Die Fernsehlieblinge machen es vor, indem sie getreu nach Anweisung eine Viertelstunde ihres Lebens vor versammelter Presse und mit Liveübertragung "drin" rufen oder eine 08/15 Webseite aufrufen. Die ganz Mutigen schaffen es sogar, selbst eine Zeile eigenhändig in einen Chat einzutippen. Faszinierend, was unsere Helden alles können.

Und während jetzt jede Grundschule mit den nagelneusten Rechnern für jeden Schüler ausgestattet werden soll, weil alles was älter als ein Jahr ist, unsere Kinder nicht auf die Zukunft vorbereiten kann, wird andernorts munter weiter gespart. Dabei wußten Lehrer, Eltern und Politiker schon mit einem 8086 nichts anzufangen.

Immerhin schafft es damit jede unfähige Internet-Schul-AG mit ihrer zusammengebastelten Homepage eine halbe Zeitungsseite zu füllen. Mit einer Schnellmaßnahme wurde der Fachkräftemangel zumindest etwas gelindert: Es gibt jetzt den Kommunikationsinformatiker (vormals Fernsehtechniker), die Büroinformatikerin (einst Schreibkraft), ...

Mit dem Arbeitsplatz-Argument wurde zwar die rationale Seite erobert, aber in unserem kollektiven Freizeitpark gibt es ja auch noch eine andere Welt, die der Freizeit.

Mittlerweile gilt es als "hip" (dieses Wort ist schon wieder so eine Ausgeburt kranker Gehirnwindungen; für mich ist Hipp ein Gemüsebrei für, wie es die Medien sagen, die heranwachsende Internetgeneration), im Internet zu "surfen". Ich dachte einst, Surfen funktioniert mit einem Brett auf dem Wasser. Die Gemeinsamkeit liegt wohl darin, daß man, egal ob man mit Wind und Wasser oder mit Maschine und Modem "surft", dabei immer nur an der Oberfläche bleibt. Wäre ja auch zu schlimm, wenn der Konsument auch selber aktiv wird, anstatt brav alles zu schlucken, was man ihm vorsetzt. Und das Brett befindet sich jetzt vor dem Kopf diverser Personen...

Wie fehlplaziert die Bezeichnung "surfen" ist, zeigt sich schon daran, daß der meistbenutzte Internet-Dienst unter Normal-DAUs nicht http (so heißt das, aber das kapieren die eh nie), sondern elektronische Post ist. In Assoziation mit der propagierten Sportmetapher ergibt sich dann auch: E-Mail-Surfen, FTP-Surfen, Gopher-Surfen, und das beste: TELNET-SURFEN!

Ganz nebenbei ist das Internet bei weitem nicht die allumfassende Informationsquelle, als die es oft dargestellt wird. Selbst bei technischen oder naturwissenschaftlichen Themen wird oft auf Bücher zurückverwiesen, wer etwas anderes, spezielles sucht hat oft wenig Erfolg.

Einkaufen am Monitor wird als Nachfolger des Einzelhandels gesehen. Aber was hat man davon, Kleidung zu kaufen, deren Bilder per Photoshop auf halbwegs ansehlich getrimmt wurden, einen Gebrauchtwagen ohne Probefahrt über dem Richtpreis zu ersteigern oder gar, um 10 Prozent Rabatt zu erhalten, zu zehnt matschige kalifornische Tomaten bestellt? Nur bei Reisen, Büchern, Software, Versicherungen und anderen vorwiegend immateriellen Waren gibt dies einen Sinn.

Und zum genießen dieses schönen neuen "Cyberspace" gibt es ein perfekt dafür geeignetes Gerät, den sogenannten Ei-Mäck. Faszinierend, wie es doch gelingt, ein überteuertes Gerät mäßiger Leistung in einem häßlichen Vollplastikgehäuse als Kombination aus vollendetem Design und neuester Technik darzustellen. Obwohl jeder PC aus dem Schachtelladen nicht nur billiger ist, sondern auch noch über eine bessere Tastatur, Maus und Bildschirm verfügt.

In dieses digitale Paradies paßt natürlich keine Kriminalität. Audio über mp3 und Programme per FTP wird als allerneueste Innovation dargestellt, aber es wird verschwiegen, daß oft das Copyright verletzt wird. Und wenn schon einmal dieses Thema erwähnt wird, heißt es meist, daß mp3 und das Kopieren von Software illegal sei. Wir wußten es doch schon immer, daß diese Linux-Hacker und Untergrund-Musikfreunde hochgradige Verbrecher sind.

Anders sieht es jedoch aus, wenn unsere gesamte Zivilisation, die ja in erster Linie aus vernetzten Rechnern besteht, von gefährlichen Terroristen angegriffen wird, die mit raffinierten E-Mail-Viren, gegen die kein Kraut gewachsen ist, der Welt den Krieg erklären. Selbst der Geheimdienst wird in Gang gesetzt. Mein Rat, wie mit diesem Täter umgegangen werden soll: Verfolgen, verhaften und dann - schnell einbürgern.

In Wirklichkeit bin ich den Urhebern derartiger Programme eigentlich dankbar. Wer durch derart dillettantische Viren (soweit man diese überhaut schon so nennen kann) Probleme bekommt, hat es nicht anders verdient (bzw. dessen Systemverwalter). Anstatt Gesetze gegen die Urheber derartiger Skripte zu planen, sollte man lieber Dummheit am Computer unter Strafe stellen.

Ich gehe jetzt zum Convenience-Provider (für alle Ewiggestrigen: zur Imbißbude), machts gut.

TS

Mail an den Autor: webmeister@deinmeister.de

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