Augenblick der Ewigkeit

Kaum wahrnehmbar, wie ein Lichtwesen der alten Sagen, erschienen sie an seiner Seite. Bei näherem Hinsehen zählte er zwei Augen, die ihm direkt entgegenblickten. Sie gehörtem zu einem zierlichen Gesicht, das bestenfalls Andeutungen von Falten verriet und zusammen mit seiner Vitalität das wahre Alter seines verborgenen Besitzers kaum erkennen lies. Doch in den müden Augenwinkeln verrieten sich die tief eingegrabenen Spuren von Jahrtausenden, die den ersten Eindruck Lügen straften. Ebenso schnell wie er gekommen war verblasste der undeutliche Anblick wieder, um einer endlosen Finsternis zu weichen. Rejhus erkannte diese Augen wieder: Es waren seine eigenen.

Fasziniert schaute Rejhus die glatte Fläche an, die noch vor kurzem sein Spiegelbild zeigte. Auf den stets länger werdenden Reisen war dies die einzige Ablenkung der es noch gelang, ihn aus seiner zähen Lethargie zu reißen. Weit entfernt schimmerten in schwachem Rot glühende Sterne, die wie brüchig gewordene Rubine inmitten schwarzem Samt glitzerten. Sie glichen den letzten Reste der Glut eines niedergebrannten Feuers, noch warm, aber nicht mehr fähig, die Umgebung zu erhellen. An die lodernden Flammen eines aufblühenden Feuers konnte sich Rejhus noch gut erinnern, ebenso wie an viele andere bewahrte Erinnerungen aus einer entfernten Kindheit. Zu damaliger Zeit galt ein Feuer noch als Luxus, den man sich zumindest einmal im Jahr leisten konnte. Aber nun war selbst ein abgebrochenes Streichholz zu kostbar, um es einfach nur in Flammen aufgehen zu lassen.

Inmitten des samtenen Ozeans näherte sich ein hell strahlendes titanisches Rad, einer kleineren Galaxie nicht unähnlich. Es war eines der neuartigen Kraftwerke, die letzte verbliebene Möglichkeit, in einem sterbenden Universum noch an Energie zu gelangen. Energie, die den Grundstoff für das Leben darstellte, daß vor Äonen den ausgelaugten Sphären entfloh, welche nun selber zum Zwecke des Weiterlebens geopfert wurden.

Nachdenklich sah Rejhus den verlassenen Überresten von Welten nach, auf denen so manche ruhmreiche Zivilisation ihre Höhepunkte als auch ihren Untergang gefunden haben mochte, lange bevor sie nun ihrem finalen Ziel in der Mitte des ewig hungrigen Schlundes des gigantischen Mahlwerkes entgegenstürzten. Das Werk gesamter Kulturen mochte hier während eines Lidschlages vernichtet werden, allein um den letzten Überlebenden einen einzigen weiteren Atemzug zu gestatten. Doch gab es daran nichts zu bedauern, denn es war allemals besser, die zu Staub zerfallenen Überreste ein letztes Mal zu nutzen als mit ihnen unterzugehen. Verloren gehen konnte ohnehin nichts, das gesamte Wissen aller jemals existierenden Zivilisationen war ohnehin schon lange zuvor erfaßt worden. Mühsam gesammelt, einsortiert und gelagert, für jeden zugänglich vorhanden. Und doch war dies kaum ein würdiges Ende, denn es gab niemand, der überhaupt all das Wissen auf einmal verstehen und überblicken konnte.

Einer dieser vergessenen Sterne konnte auch seine Heimat gewesen sein, auf der er einst zur Welt gekommen war, ging es Rejhus durch den Kopf. Zu einer Zeit vor der großen Flucht, als er noch im vertrauten Kreise seiner Nächsten leben konnte anstatt für eine halbe Ewigkeit allein auf dem Weg zur nächsten bewohnten Siedlung unterwegs sein zu müssen. Ob jetzt noch jemand von dort an ihn dachte? Was nützte es ihm, daß er jetzt länger leben konnte als alle seine Vorfahren zusammen, wenn die gewonnene Zeit allein aus Leere bestand, ebenso leer wie der ihn umgebende Raum.

Letztendlich war auch das nur ein verzweifelter Versuch, dem Unausweichlichen entgehen zu wollen. Die neuen Energiequellen gaben zwar den Anschein, auf immer verfügbar zu sein. Aber jeder wußte daß auch sie begrenzt waren, und jeder ihnen entnommene Tropfen war ein weiterer Schritt ohne Wiederkehr.

Rejhus´ Finger glitten an der Wand vor ihm herab. Eine gerade mal fingerdünne Schicht, die ihm das Überleben sicherte und einen gemütlichen Aufenthalt inmitten der kalten Einöde bot. Diese Eierschale, die nun sein Zuhause bildete, fühlte sich weich und vertraut an. Umso mehr kam sie ihm wie eine ausbruchsichere, unerwünschte Gefängniszelle vor. Ein Verließ für all jene, die unschuldig dazu verurteilt waren, an der Spitze der Evolution stehen zu dürfen.

Ein glänzender Schwarm aus filigranen Trümmern flog majestetisch an ihm vorbei. Sie sahen aus wie Falken, die auf ihre unwissende Beute hinabstürzten. In einer der noch vorhandenen ewigen Gärten hatte er sie gesehen. Wesen, die lange nach ihrem Aussterben wie Phönix aus der Asche aus alten Fossilien wiedergeboren wurden um in einem künstlichen Paradies bessere Lebensbedingungen vorzufinden als sie es ursprünglich je hatten. Damals hatte Rejhus ihnen lange zugesehen, sie um ihre grenzenlose Freiheit bewundert, die ihm verschlossen blieb.

Gerade mal eine Handbreit von ihm entfernt traten sie lautlos und ohne zu zögern in die Zone ohne Wiederkehr ein, dem Zentrum der lebensspendenden Hölle entgegenjagend. Ihre abgesplitterte Reste vollzogen komplizierte Tänze, schienen sich miteinander zu verständigen und verteilten sich unter den kargen Staubresten, weiter ihre Pirouetten und unverständliche Gesten vollziehend. Er wollte sie greifen, bekam aber nur die Außenwand zu fassen.

Entmutig lehnte er sich zurück, doch langsam verstand er die ihm gegebene Botschaft. Es gab noch viel zu tun, aber in nur wenigen Sekunden würde sich die Zukunft neu entscheiden. Was vor ihm lag war nicht das Ende, es war ein neuer Anfang. Ein Anfang, der ihm seine Heimat zurückbringen würde.

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